Was in Diktaturen üblich ist, war in der Bundesrepublik bisher verboten. Der Einsatz des Militärs im Inneren. Trotzdem kam es unter der Begründung der Terrorismus- und Gewaltbekämpfung in der jüngeren Vergangenheit zu solchen Einsätzen. Nach den Einsätzen von Soldaten während der Fußball-WM 2006 waren die Soldateneinsätze gegen die Demonstranten gegen den G8-Gipfel der bisherige Höhepunkt dieser Auswüchse. Doch die Diskussionen werden weiterhin geführt! Die Militarisierung der Außen- und der Innenpolitik sind die zwei Seiten der einen Kriegsmedaille....
Die Große Koalition hat sich darauf verständigt, Einsätze der Bundeswehr auch im Inland zuzulassen. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG sieht darin einen - Zitat:
"Bruch mit der deutschen Grundgesetztradition. Nur in absoluten Ausnahmefällen soll die Bundeswehr im Inneren eingesetzt werden, heißt es beschwichtigend. Der Mechanismus dieser absoluten Ausnahmefälle ist bekannt: Aus ihnen wird über kurz oder lang, meist über kurz, eine Regel. Daher muss es bei dem ehernen Verbot bleiben: Innere Sicherheit ist eine Sache der Polizei, nicht des Militärs. Schäuble verfolgt seine Pläne seit über 15 Jahren. Das macht sie nicht besser. Aber der Widerstand schwindet. Jetzt hängt es von den Grünen, der Linken und vor allem von den Freien Demokraten ab, ob Schäuble es schafft", meint die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU unterstreicht:
"Die Formulierung, auf die sich die Koalition nun verständigt hat, ist schwammig. Von der 'Abwehr eines besonders schweren Unglücksfalls' ist in dem Gesetzentwurf die Rede. Als 'Unglücksfall' gelten eben auch Terroranschläge. Wie hinreichend die Befürchtungen sein müssen, um den Einsatz von Bundeswehrsoldaten zu erlauben, ist nicht geregelt. Wie weit der Einsatz von 'militärischen Mitteln' gehen darf, um eine Gefahr abzuwehren, ist nicht näher definiert. So begibt sich der Gesetzgeber auf eine rutschige Bahn. Denn Grundgesetzartikel 35 könnte zum Einfallstor für rat- und mittellose Landespolitiker werden, frühzeitig auf den Einsatz der Bundeswehr zu dringen, um eigene Personalkosten zu sparen", befürchtet die FRANKFURTER RUNDSCHAU.
"Flugzeugbomben, Anthrax-Anschläge, Giftgas in der U-Bahn oder Nuklearexplosionen in Fußgängerzonen: Gleich gierigen Versicherungskonzernen bietet uns die Regierung Schutz an - gegen das, was es nicht gibt. Und stellt dafür die gesamte Bundeswehr auf. Fragt sich, ob der verlangte Preis angemessen ist? Die Koalition fordert schließlich nicht weniger als die Änderung des Grundgesetzes.
SPD lenkt im Streit um Armeeeinsätze im Inneren ein - und fühlt sich trotzdem als Sieger. Ein Gespräch mit Rainer Arnold, dem verteidigungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagfraktion
Seit Jahren wird in Berlin über den Einsatz der Bundeswehr im Inneren debattiert. Vor allem die Union drängte in der Debatte auf eine Änderung des Grundgesetztes. Am vergangenen Sonntag wurde schließlich eine Einigung im Kabinett erzielt: Die SPD erklärte sich damit einverstanden, dass der Artikel 35 des Grundgesetzen so geändert wird, dass die Armee der Polizei im Bedarfsfall zur Hilfe kommen kann. Sie würde in diesem Fall "Amtshilfe" leisten, heißt es in Berlin beschwichtigend. Bislang war das bei Umweltkatastrophen der Fall. Künftig wird die Gefahr einer terroristischen Bedrohung aufgenommen.
Telepolis sprach mit Rainer Arnold über die Einigung im Kabinett. Er ist verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagfraktion.
Herr Arnold, Ihre Partei, die SPD, hat sich unlängst mit den Christdemokraten auf die Möglichkeit geeinigt, die Bundeswehr auch im Inneren einzusetzen. Bislang ist das durch das Grundgesetz untersagt. Haben sich die Sozialdemokraten damit dem Druck der Unionsparteien gebeugt?
Rainer Arnold: Nein, überhaupt nicht. Wir waren schon immer der Auffassung, dass wir nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Luftverkehrssicherheit nur den Artikel 35 des Grundgesetzes verändern können.
Das Verfassungsgericht hatte mit diesem Urteil Pläne von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) für verfassungswidrig erklärt, zivile Passagiermaschinen im Gefährdungsfall abzuschießen.
Rainer Arnold: Wegen dieses Urteils beschränken wir uns auf eine Änderung des Paragraphen 35, der schon jetzt den Einsatz der Bundeswehr im Inneren in Friedenszeiten regelt. Er betrifft die Amtshilfe durch die Bundeswehr. Amtshilfe bedeutet, dass die Bundeswehr im Katastrophenfall - und auch ein terroristischer Anschlag ist ein Katastrophenfall - die Polizei unterstützen kann. An dieser Stelle wollen wir das Grundgesetz reformieren. In keinem Fall teilen wir die Ziele von Herrn Schäuble. Er wollte den Artikel 87 des Grundgesetzes ändern. In diesem Fall würden wir uns bei einem Einsatz der Bundeswehr im Inneren quasi im Kriegszustand befinden.
Sie haben sich ebenso wie Ihr Parteigenosse und Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestags, Sebastian Edathy, mehrfach gegen den Einsatz der Bundeswehr als "Hilfspolizei" gewandt. Wäre das nicht aber nach der beabsichtigten Änderung des Grundgesetzes gerade der Fall?
Rainer Arnold: Nein. Die Bundeswehr wäre zur Hilfspolizei geworden, wenn die Pläne von Herrn Schäuble realisiert worden wären. Er wollte die Truppe zum Beispiel auch beim Objektschutz einsetzen. Wir sagen: Die Bundeswehr kann nur dann im Inneren mobilisiert werden, wenn die polizeilichen Mittel nicht ausreichen. Das hat das Verfassungsgericht auch so bestätigt. Wir müssen deswegen gewährleisten, dass in diesem Sonderfall auch militärische Mittel eingesetzt werden können. Dies betrifft vorwiegend den Schutz des Luftraums, weil die Polizei keine Abfangflugzeuge hat, und dies kann auch innerhalb der Zwölf-Meilen-Zone auf See gelten.
In bisherigen Stellungnahmen heißt es, der Einsatz der Bundeswehr werde auf den Katastrophen-, den Spannungs- oder den Verteidigungsfall beschränkt. Wie sind diese Szenarien aber definiert?
Rainer Arnold: Das Bundesverfassungsgericht dazu festgehalten, dass als Katastrophe auch ein terroristischer Anschlag zählt, oder aber ein geplanter Anschlag, der unmittelbar bevorsteht. Und wenn dort polizeiliche Mittel nicht ausreichen, wollen wir, dass die Bundeswehr mit Mitteln Hilfe leistet, über die die Polizei nicht verfügt.
Könnte denn auch eine Zuspitzung sozialer oder politischer Protestbewegungen zum Spannungsfall im Sinne eines geänderten Paragraphen 35 GG führen?
Rainer Arnold: Das sehe ich nicht so. Sollte eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung bestehen, dann können wir auf die Notstandsgesetzgebung zurückgreifen. Diese Gesetzgebung gibt es nunmehr schon seit 30 Jahren.
Nun befürworten Sie und Ihre Partei den Einsatz der Bundeswehr, wenn polizeiliche Mittel nicht ausreichen. Nun kann das jeder behaupten. Wer definiert diesen Bedarf an Mitteln denn?
Rainer Arnold: Das fällt in die Zuständigkeit der entsprechenden Behörden. Derzeit sind das die Innenminister der Länder. Bei Gefahr im Verzug wären der Bundesinnenminister oder der Minister der Verteidigung gefordert, vor allem wenn die Zeit drängt.
Was wäre ein solcher Fall?
Rainer Arnold: Stellen Sie sich vor, ein Schiff wird von Terroristen gekapert und steuert, mit Sprengstoff beladen, über die Elbe auf den Hamburger Hafen zu. Dieses Schiff könnte von der Polizei mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln derzeit nicht gestoppt werden.
Sie haben nun mehrfach auf Ihre Differenzen mit Innenminister Schäuble hingewiesen. Sie haben aber kein Problem damit, dass er alleine entscheidet, ob eine Gefahrenlage besteht und ob die Armee eingesetzt wird?
Rainer Arnold: Bei Gefahr im Verzug wäre der Bundesinnenminister gefordert. Abgesehen davon gibt es ja aber auch Krisenstäbe, die sich untereinander abstimmen. Ich bin allerdings schon der Meinung, dass die Frage der Zuständigkeit nach der Entscheidung im Kabinett noch offen ist. Unklare Zuständigkeiten schaffen nicht mehr Sicherheit.
Herr Arnold, auf Ihrer Internetseite haben Sie einen Artikel veröffentlicht, in dem es zur der Diskussion über einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren heißt: "Diese Vorstellungen der Union hätten einen nicht hinnehmbaren Interpretationsspielraum hinsichtlich der Befugnisse von Kräften der Inneren und Äußeren Sicherheit zur Folge." Sie haben dabei explizit auf die Änderung des Artikels 35 Grundgesetz Bezug genommen. Was hat sich seither geändert?
Rainer Arnold: Die Veränderung ist einfach: Inzwischen ist eindeutig definiert, dass die Bundeswehr nur im Zuge der Amtshilfe eingesetzt wird. Sie unterstützt die Polizei also und handelt nicht eigenmächtig.
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Armee patrouilliert schon in Italiens Straßen
Berlusconis »Sicherheitspaket« setzt Trennung zwischen Polizei und Streitkräftenaußer Kraft
Welches ist das größte Problem, das Italien zu lösen hat? Für die neue Regierung gibt es auf diese Frage nur eine Antwort: die Sicherheit – die Sicherheit der italienischen Bürger vor Roma-Mädchen, die Handtaschen klauen, die Sicherheit gegenüber der Mikrokriminalität in den Großstädten. Und um
dieses Problem zu lösen, scheut man vor gar nichts zurück: Man will sogar Soldaten als Patrouillen in den Straßen einsetzen.
In Italien werden in wenigen Tagen 2500 Soldaten mit den notwendigen Kompetenzen ausgestattet werden, um Aufgaben der öffentlichen Ordnung wahrzunehmen. Sie dürfen Passanten anhalten, nach ihren Ausweisen fragen und sie sogar festnehmen, wenn sie es für notwendig halten. Was man sonst nur von Militärdiktaturen, autoritären Staaten und Nationen im Kriegszustand kennt, wird mitten in Europa Alltag. Damit wird eines der Grundprinzipien der demokratisch verfassten Länder – die rigorose Trennung zwischen Polizeikräften und Militär – mit einem Federstrich außer Kraft gesetzt.
Diese Maßnahme ist in einem »Sicherheitspaket« enthalten, das die Regierung mit äußerster Dringlichkeit und zum Teil per Dekret auf den Weg gebracht hat.
Einige Teile sind bereits in Kraft, andere werden in wenigen Tagen wirksam sein, wenn sie vom Parlament verabschiedet wurden. Und an der Zustimmung besteht kein Zweifel. Auf der einen Seite, weil das sogenannte Volk der Freiheit von Silvio Berlusconi in beiden Kammern über eine derart komfortable Mehrheit verfügt, dass man jede Maßnahme von den Volksvertretungen absegnen lassen kann. Und zum anderen auch, weil es derzeit in Italien keine wirkliche Opposition zu geben scheint, die angesichts einer so unglaublichen Entscheidung die Bürger mobilisieren oder wenigstens in der Öffentlichkeit eine heftige Diskussion ins Leben rufen könnte. Auf die Medien hat sie sowieso keinen nennenswerten Einfluss: Praktisch das gesamte Fernsehen (öffentlich wie privat) und ein Großteil der Printmedien werden direkt oder indirekt von Silvio Berlusconi kontrolliert.
Wenn überhaupt, dann wird darüber diskutiert, ob so eine Maßnahme – also das Militär im Inneren einzusetzen – »sinnvoll« sei. Sind 2500 Soldaten nicht viel zu wenig? Sind sie überhaupt für solche Aufgaben ausgebildet? Wie koordiniert man ihr Vorgehen mit der »normalen« Polizei? Einige Oppositionspolitiker sind auch über das Bild besorgt, das Italien im Ausland vermittelt: »So wird man sich ja wie in Kolumbien fühlen«, erklärte etwa der ehemalige Anti-Korruptionsrichter Antonio Di Pietro, heute Parlamentarier der Gruppe »Italien der Werte«, die mit der Demokratischen Partei verbündet ist. Nur Fausto Bertinotti, einst Vorsitzender der »Rifondazione comunista«, meinte schon in seiner ersten politischen Stellungnahme nach dem verheerenden Wahlergebnis vom April: »Wir bewegen uns auf ein ›leichtes‹ autoritäres Regime
zu.«
Die Regierungsvertreter haben ihre eigene Logik: Erstens die italienischen Bürger fühlen sich unsicher – und dabei ist es egal, ob alle Statistiken sagen, dass die Kriminalität in Italien keineswegs stärker als in anderen europäischen Ländern ist. Zweitens die Polizei schafft es einfach nicht allein – und auch da
ist es egal, dass Italien sowieso schon weit mehr Polizisten pro Einwohner hat als alle anderen. Und drittens die Soldaten sind notwendig, damit sich die Italiener sicherer fühlen können. Es sei – so der Exfaschist und heute Verteidigungsminister Ignazio La Russa – »ein Akt der Liebe und der Großzügigkeit der Soldaten gegenüber den Bürgern«. Sein Parteifreund und Fraktionsvorsitzender von Volk der Freiheit in der Kammer, Maurizio Gasparri, geht mit den Kritikern weniger blumig um: »Wer gegen die Soldaten in den Straßen ist, steht auf der Seite der Mafia.« Eine Frage sei zum Schluss noch hinzugefügt: Warum verschließt man in Europa die Augen vor dem, was derzeit in
Italien geschieht? Was muss noch alles geschehen, damit der »Fall Italien« von internationalen Gremien zumindest angesprochen wird?