Die (Re)Konstruktion einer Anti-Kriegs-Bewegung
geschrieben von David Zlutnick und Ian Paul v
om Friendly Fire Collective am 25.April 2008
Als Anti-Kriegs-Bewegung stecken wir Zeit und Energie in Mobilisierungen, die zu
isolierten Tagen spektakulärer Aktionen führen. Wir streben es an kurzfristige
Ziele zu erreichen, ohne jedoch über notwendigen kollektiv entwickelten
langfristigen Visionen zu verfügen, die eine nachhaltige Anti-Kriegs-Bewegung
braucht. Manchmal können diese Aktionen für sich selbst genommen etwas
erreichen, doch müssen wir uns vergewissern, dass sie auf möglichst effktive
Weise durchgeführt werden und uns zugleich unseren weitreicherenden Zielen
näherbringen. Wenn es unsere Strategie ist, eine Bewegung zu schaffen – eine
Bewegung, die dazu imstande ist das Vermögen des Staates Krieg zu führen zu
zerstören – dann müssen wir unsere Organisierung kritisch daraufhin abklopfen
und sie danach bewerten, inwieweit sie es effektiv vermag eine erfolgreiche
Anti-Kriegs-Bewegung aufzubauen. Im Folgenden schildern wir unsere Sicht der
Aktionen zu M19 (dem Jahrestag des Irakkrieges), unsere Erfahrungen der
Organisierung innerhalb von DASW (Direct Action to Stop the War), welche Fehler
unserer Ansicht nach gemacht wurden, und wie wir denken weiterzugehen im
Bestreben einen radikalen Raum für radikale Aktionen zu schaffen.
Kurzfristige Ziele
Zu Beginn sollten wir unserer Ansicht nach die beiden kurzfristigen Ziele
untersuchen, die mit den Aktionen an diesem Tag erreicht werden sollten:
Aufmerksamkeit für den fünften Jahrestag des Krieges herzustellen und den
Normalbetrieb von Kriegsprofiteuren in unserer Stadt unterbrechen.
Das erste ausdrückliche Ziel, warum speziell an diesem 19.März ein Aktionstag
organisiert wurde lag darin Aufmerksamkeit für den fünften Jahrestag des
Krieges zu erregen. Während wir damit recht gut erfolgreich waren –
verschiedene Zeitungen und Fernsehsender brachten die Ereignisse des Tages – so
hatten die meisten Berichte doch einen gönnerhaften und paternalistischen Ton,
klopften uns dafür auf den Rücken, nicht allzu viel Ärger verursacht zu haben
oder stellten unsere magere TeilnehmerInnenzahl heraus. Entsprechend der
Struktur der bürgerlichen Presse war es nur in sehr begrenztem Umfang möglich
Einfluss auf den Ton der Berichterstattung zu nehmen – was uns zu der Frage
führte, welchen Wert es überhaupt hatte, im Vorfeld enorm viel Energie ins
Entwickeln einer Strategie für den Umgang mit bürgerlichen Medien gesteckt zu
haben. Allerdings führt uns die große Menge an Berichten in den Mainstream
Medien dazu zu gleuben, dass die Medienstrategie ziemlich erfolgreich damit
war, die Aufmerksamkeit auf den Jahrestag zu richten und somit die selbst
gesetzten Ziele erreichte.
In Bezug auf das Ziel, die Kriegsprofiteure zu stören, kamen eine Reihe
unterschiedlichster Taktiken zum Einsatz: ein Schlangenmarsch (eine sich von
Punkt zu Punkt voranbewegende Unterstützungsdemo, die sich nicht festnehmen
lässt, sondern immer kurz davor weiterzieht), einen Fahhradblock, Farbbomben,
U-Schlösser an Eingangstüren, v.a. aber Sit-Ins, Lock-Ons und Die-Ins – ihnen
allen war unterschiedlicher Erfolg beschieden. Lasst uns zuerst sehen inwieweit
diese Aktionen es vermochten die Geschäfte der Kriegsprofiteure zu unterbrechen.
Die Frage ist: Wurde dieses Ziel erreicht und wurde es auf bestmögliche Weise
getan?
Wenn wir uns fragen, ob es an diesem 19. März zu bedeutenden Unterbrechungen der
Kriegsprofiteure kam, muss die Antwort “nein” lauten. Es war aufregend den
größten Einsatz Zivilen Ungehorsams in San Franzisko seit Beginn des Krieges zu
sehen, doch blieben die meisten Aktionen rein symbolisch, die Geschäfte der
Profiteure blieben offen. Die meisten Aktionen gab es auf der Market Street und
obwohl die angestrebten Ziele in Sichtweite lagen, scheiterten sie doch darin
den Normalbetrieb zu unterbrechen. Diese Aktionen blockierten die Market Street
erfolgreich für lange Zeit, aber Ziel war es anders als 2003 diesmal nicht
gewesen, den Finanzdistrikt lahmzulegen, sondern die Geschäfte der Profiteure.
Darüber hinaus befanden sich die Büros häufig in großen Bürogebäuden, deren
Türen z.T. zwar erfolgreich außer Funktion gesetzt werden konnten, die Arbeit
in den Büros selbst aber ungestört fortgesetzt werden konnte.
Ein Großteil der Strategie dieses Tages konzentrierte sich auf den Einsatz
ausdrücklich gewaltfreier Direkter Aktionen, die durch Massenfestnahmen die
Zielgebiete lahmlegen sollten – gekoppelt mit einem Schlangenmarsch zur
Unterstützung der Blockaden und als Möglichkeit für die allgemeine
Öffentlichkeit, sich bei den Protesten einzuklinken. Wenn wir die Ereignisse
des Tages untersuchen, sehen wir verschiedene Wege, wie die verwendeten
Methoden verbessert werden könnten.
Zu Beginn müssen wir die Tatsache feststellen, dass viele der potentiellen Ziele
aus zwei Gründen verfehlt wurden: 1) Einem Mangel an Kommunikation und
schlechter Koordination zwischen Bezugsgruppen, und 2) das Gefühl in einigen
Gruppen, dass sie aufgrund taktischer Differenzen bei den DASW Aktionen nicht
willkommen sein könnten (Zu beiden kommen wir später ausführlicher).
Ein Beispiel drückt unserer Ansicht nach gut den vorhandenen Mangel an
taktischen Synergien aus: Der Schlangenmarsch erreichte das Chevron Gebäude, um
dort eine Aktion zu unterstützen, bei der verschiedene Individuen die Eingänge
mit Ölfässern blockierten, in denen sie sich festgekettet hatten. Die Blockade
war schnell aufgelöst, die Gruppe festgenommen. Die Eingänge blieben aber auch
nach den Festnahmen durch den Marsch selbst blockiert, ein nicht beabsichtigter
Effekt, der definitiv effektiver darin war, das Gebäude zu blockieren als das
Anketten. Nach diesem Ereignis kehrte der Schlangenmarsch zu seiner Rolle als
Unterstützung zurück und entfaltete niemals sein volles Potential. Dies zeigt,
dass die Festnahmen höchstwahrscheinlich unnötig waren und welche Kraft der
Schlangenmarsch gehabt haben könnte, wäre er auf andere Weise gedacht worden,
sprich: als eigenständiges Mittel der Unterbrechung statt als Unterstützung.
Indem der Schlangenmarsch von vorn herein darauf beschränkt war ein
Unterstützungsstruktur zu sein, entstand eine Athmosphäre ZuschauerInnen zu
sein, während die “echte” Aktion in Form Zivilen Ungehorsams stattfindet. Viele
von denen, die am Marsch teilnahmen und erwarteten selbst zu stören, fanden sich
als ZuschauerInnen vorher geplanter Direkter Aktionen wieder, was die
Möglichkeiten bei mitzumachen stark einschränkte. In Zukunft sollten wir
Taktiken entwickeln, die darauf zielen konkrete Ziele zu erreichen und dennoch
offen sind und die Möglichkeit bieten teilzunehmen.
Die Bewegung aufbauen
Unser Eindruck in der Vorbereitung auf M19 war, dass die Aktionen des Tages und
ihre Organisierung als langfristiges Ziel hatten zur allgemeinen (Re)
Konstruktion der Anti-Kriegs-Bewegung beizutragen. Trotz dem es offensichtlich
positiv ist, wenn solche Formen der Organisierung wieder auftauchen, wurde
dieses Ziel dahin gehend nicht erreicht, neue Leute in die Anti-Kriegs-Bewegung
zu bringen.
Zunächst hatten die meisten, wenn nicht alle, die sich unter der Fahne DASW
zusammenfanden schon einige Erfahrungen in der Organisierung von
Anti-Kriegs-Protesten gesammelt. Zweitens kann davon ausgegangen werden, dass
diejenigen, die am 19. März zu den DASW Aktionen kamen höchstwahrscheinlich
schon vorher an Anti-Kriegs-Protesten teilgenommen haben uns es zweifelhaft
ist, dass sie nun aktiver an der Organisierung teilnehmen werden, wenn sie dies
nicht ohnehin an irgendeinem Punkt in den letzten 5 Jahren passiert ist. Zur
gleichen Zeit müssen wir anerkennen, dass es für die ausgewählten Wenigen, für
die es der erste Protest war, eine großartige Erfahrung gewesen sein mag (was
es für einige mit denen wir gesprochen haben tatsächlich war) die sie
hoffentlicht dazu ermutigt aktiver zu werden. Dennoch müssen wir ebenfalls
sehen, dass dies ohne Zweifel eine extrem wenige waren. Für den Rest der
Anwesenden lässt sich folgern, dass M19 sie nicht zu einer aktiveren Position
bringen wird, was die Frage aufwirft, woran das liegt.
Wir glauben, dass es vor allem zwei Gründe gibt, warum sich jenseits der mit
DASW verbundenen Leute die wenigsten TeilnehmerInnen der M19 Proteste an der
weiteren Organisierung beteiligen werden: 1.) Der ausschließende Nebeneffekt
der zentralen Taktik der Massenfestnahmen, und 2.) war bei den gewählten
Methoden war eine tatsächliche Störung der Kriegsmaschine kaum zu spüren.
Auch wenn dies so deutlich nie gesagt wurde, empfanden viele, dass die zentralen
Aktionen des Tages, die von DASW offiziell geduldet wurden in Ankett-Aktionen,
Die-Ins und Sit-Ins usw. bestanden, die allesamt mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit zu Festnahmen führen würden. Als Ergebnis hatten diejenigen
unter uns, welche wie wir bereit sind Festnahmen zu riskieren, nicht aber an
Aktionen teilnehmen, die unter Garantie zu Festnahmen führen, das Gefühl, dass
wir an diesem Tag nicht wirklich teilnehmen können, weil wir uns nicht anketten
wollen. Es war unklar, wie wir und andere uns am besten in effektiver Weise mit
anderen Aktionen koordinieren könnten, insbesondere da wir annehmen mussten,
dass viele unserer Ideen zu Störungen nicht geduldet oder als Teil von DASW
erachtet werden würden, da sie nicht in die Kategorie “Zivilen Ungehorsams”
passen würden.
Als Ergebnis blieb vielen nichts anderes übrig als in den öffentlichen Aktionen
wie dem Schlangenmarsch teilzunehmen. Auch wenn es die Idee des
Schlangenmarsches war, all jene einzubinden, die nicht an den kleinen Aktionen
teilnehmen, hatten viele das Gefühl, einen Nebenrolle zugewiesen bekommen zu
haben. Außerdem fühlten sich viele, darunter auch wir, von den Die-Ins
abgekoppelt, da wir auf eine Zuschauerrolle reduziert beobachten mussten, wie
die Leute festgenommen und weggezerrt wurden, eine immer kleiner werdende Menge
ohnmächtiger GefährtInnen auf dem Gehweg zurücklassend.
Aus Diskussionen, die wir seit M19 mit einigen Individuen führten – insbesondere
Leuten, die nicht an den bedeutenden Anti-Kriegs Organisierierungen beteiligt
waren, die aber bereits vor Kriegsbeginn 2003 aktiv waren und am fünften
Jehrestag teilnahmen – folgern wir, dass viele in der Anti-Kriegs-Community es
müde sind immer wieder auf die alten Taktiken zurückzugreifen, die
bewiesenermaßen keinen Effekt haben. Dies wird sowohl von den Militantesten wie
den eher “Liberalen” (gegenüber den Radikalen) so gesagt. Auch wenn sie diesmal
den Aktionstag von DASW unterstützten, wird fortgesetzte Enttäuschung sie nicht
dazu ermuntern, sich am Organisierungsprozess zu beteiligen, geschweige denn an
künftigen Aktionen teilzunehmen.
Neben der Strategie des “Zivilen Ungehorsams” hatten wir auch beim
Schlangenmarsch den Eindruck “alte Taktiken” zu wiederholen. Da der Marsch
entschlossen war, unerlaubt zu bleiben (und dank fantastischer darbietungen von
Theatergruppen und Marching Bands) war es möglich, die Energie auf hohem Niveau
zu halten. Nichts desto trotz erinnerte der Anspruch alle einzubinden – was ein
Verbot aller Aktionen voraussetzt, die den Marsch zu gefährden scheinen – stark
an die typische San Francisco Anti-Kriegs-Demo, die zwar einen Anfang und ein
Ende hat, deren Zweck oder zu erreichendes Ziel aber unklar bleibt. Wenn dies
der Fall war, und dies die einzige “einbeziehende” Aktion des Tages war, würden
unglücklichrweise viele vorziehen, nach der Arbeit an der ANSWER Demo
teilzunehmen, was weit mehr Menschen taten.
Nach M19 gab es den ANSWER leuten gegenüber feindliche Gefühle, die in der
Wahrnehmung endeten, diese seien unserem Tag in die Quere gekommen. Selbst wenn
das der Fall wäre u8nd wir kollektiv das Bedürfnis hätten den fünften Jahrestag
zu monopolisieren (was ein schrecklicher Fehler wäre), können wir es ANSWER
nicht vorwerfen, Leute zu ihrer Demo gezogen zu haben. Das ist eben, was ANSWER
macht: Sie organisieren Massendemonstrationen, um all jene einzubeziehen, die
irgendwie zeigen wollen, dass sie die US Besatzung ablehnen. Als DASW möchten
wir etwas anderes sein – eine Organisierung, die auf Direkte Aktion zielt. Mehr
als nur gegen den Krieg zu demonstrieren ist es unser definitives Ziel ihn zu
stoppen. Sollten wir also nicht andere Taktiken anwenden?
Eine andere wichtige Frage in Bezug auf M19 ist: Wen wollen wir in unsere
Aktionen einbeziehen? Idealerweise, ja, hätten wir gerne alle dabei, aber
realistischerweise können wir nicht davon ausgehen, dass ein repräsentativer
Querschnitt aller Leute in San Francisco, vom Marina-Yuppie bis zur
TagelöhnerIn mitmacht. Als Gruppe mit dem Namen “Direct Action to Stop the War”
die mit einen Aktionstag ankündigt “die Profiteure des Krieges lahmzulegen”
sprechen wir, ob wir wollen oder nicht, ein sehr spezielles Publikum an:
AktivistInnen. Wenn wir das im Kopf haben, müssen wir nicht nur neue Wege
finden, uns zu organisieren, die diese Community dazu bringt, sich entweder mit
uns zusammen zu (re)organisieren oder auch unabhängig. In jedem Fall sollten wir
diese Gruppe in unseren Planungen berücksichtigen in dem Wissen, dass sie nicht
nur da sind, um ihre Opposition gegen den Krieg zu zeigen, sondern um dagegen
zu handeln.
Wenn wir nochmal auf die Taktik des “Zivilen Ungehorsams” sehen: Wenn es
tatsächlich unsere Absicht ist diejenigen Gruppen einzubeziehen, deren
unmittelbare Anliegen wir am häufigsten mit dem Krieg in Zusammenhang bringen –
namentlich die ImigrantInnen, die Communities of Color, und allgemeiner
gesprochen die ArbeiterInnenklasse – müssen wir den ausschließenden Effekt
beachten, den diese Methode speziell auf diese Teile der Bevölkerung hat.
Dieser nicht beabsichtigte Ausschluß hängt häufig mit zusätzlichen Pflichten
zusammen, die Menschen in schlecht bezahlten Jobs nicht auf sich nehmen können,
etwa die Unmöglichkeit sich den ganzen Tag frei zu nehmen, oder auch aus
familiären Gründen, die einen längeren Gefängnisaufenthalt undenkbar erscheinen
lassen. Ein anderes Mal hängt es mit dem Status zusammen, wenn Leute keine
Papiere oder andere rechtliche Probleme haben. Aber oft ist diese Unfähigkeit,
oder das mangelnde Bedürfnis an Protesten teilzunehmen finanzieller Natur.
Selbst jene, die bereit wären, das Risiko einer Vorladung oder anderer
rechtlicher Konquenzen einzugehen, würden aufgrund ihrer finanziellen Situation
nicht an einer Aktion teilnehmen, welche definitiv zu einer Festnahme führt –
die mit einer massiven Geldstrafe, Gerichts- oder Anwaltskosten, oder auch nur
mit Verdienstausfall verbunden ist. Um es noch einmal zu wiederholen: Diese
Gruppen wären durchaus bereit an Aktionen teilzunehmen, die zu Festnahmen
führen können, und oftmals tun sie das auch, aber da die Konsequenzen für sie
potentiell schwerwiegender sind, ist es weniger wahrscheinlich, dass sie dieses
Risiko für Aktionen eingehen, die häufig rein symbolischer Natur sind. So bleibt
festzustellen, dass bei den Massenfestnahmen am 19. März hauptsächlich jene
Personen, oder zumindest die gleichen Kreise, beteiligt waren wie bei zahllosen
anderen Aktionen der letzten Jahre.
Gruppendynamik
Die Entschiedenheit, sich auf nicht-hierarchische Weise zu organisieren ist
zusammen mit dem Fokus auf Dezentralisierung die größte Stärke von DASW. Zur
gleichen Zeit mussten wir durch unsere Erfahrungen in der Arbeit innerhalb
dieser Struktur feststellen, dass es immer wieder einen Mangel an Kommunikation
gab, der zu vermeidbaren Problemen führte.
Erstens gab es in der Koordinierung der Aktionen einen Zusammenbruch der
Kommunikation zwischen Bezugsgruppen darüber, welche Ziele gewählt wurden und
welche Aktionen dort stattfinden würden. Zumindest in unserer Bezugsgruppe
führte dies zu einem zu langen Zögern, sich auf M19 vorzubereiten, genug
herauszufinden, um nicht den Aktionen anderer Gruppen ins Gehege zu kommen, was
unsere Einsatzmöglichkeiten an diesem Tag ernsthaft herabsetzte. Die Methode,
auf die sich geeinigt worden war sah vor, dass sich die Bezugsgruppen
vermittels eines “doppelt-blinden” Knotenpunktes über Ziele und Zeitpunkte
verständigen. Sicherlich bedürfen einige Aktionen äußerster Geheimhaltung, und
können manchmal gar nicht kommuniziert werden, aber selbst die freundlichsten
und öffentlichsten Aktionen machten von diesem System nicht effektiv Gebrauch,
oder wenn sie es taten, wurde die Information nicht effektiv verbreitet.
Auch der Schlangenmarsch war aufgrund schlechter Kommunikation von einer Menge
Verwirrung umgeben. Noch wenige Nächte vor der Aktion schien es eine allgemeine
Verwirrung darüber zu geben, wie viele Schlangenmärsche es letztlich geben
würde, wer die anderen gerüchteweise existierenden Märsche koordinieren würde,
wo diese hinführen würden, und sogar was ihre Ziele wären. Und das wiederum
führte zumindest in unserer Bezugsgruppe dazu, dass wir über unsere Aktion erst
in letzter Minute konkret entscheiden konnten. Diese Art Unsicherheit
resultierte vom Mangel an Kommunikation, die nötig gewesen wäre, um erfolgreich
zu sein – sich in einer dezentralen Organisierung wechselseitig mit den
wichtigsten Informationen zu versorgen.
Der dezentrale Charakter von DASW ist Schlüssel ihrer Organisierungsstruktur
ist, führte aber auch dazu, dass einzelne Individuen und Bezugsgruppen großen
Mengen Arbeit übernehmne mussten, wodurch sie über unverhältnismäßig großen
Einfluss verfügten. Dies führte zu einem Mangel an Transparenz, was wiederum
zur Folge hatte, dass Individuen und Bezugsgruppen ihre eigenen Entscheidungen
trafen, vorbei an notwendigen allgemeinen Diskussionen, die hätten stattfinden
sollten, und so den Charakter der Aktionen des Tages prägten – allerdings
sollten diese Gruppen nur dann zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie mehr
oder weniger von DASW delegiert waren. Das hervorstechendste Beispiel war das
Komm(unikations)-Team, das sich weigerte Informationen über den “text-loop”
[ticker, sms?] zu verbreiten, dass ein Bürohaus mit Farbbomben beworfen worden
war, weil sie diese Aktion nicht richtig fanden und nicht “zu dieser Art
Verhalten ermutigen” wollten. Soweit wir wissen wurde das Recht Informationen
auszuwählen, welche Informationen verbreitet werden würden und welche nicht
niemals auf einem allgemeinen Treffen bestimmt. Es sollte aber auch gesagt
werden, dass der Komm-Vorfall selbst einem Mangel an Kommunikation innerhalb
DASW über Parameter und Verwendung geschuldet sein mag.
Eine weitere Angelegenheit, die wir in diesen Abschnitt ansprechen möchten ist
das Fehlen einer Diskussion über einige zentrale Punkte, die für Teilnahme und
Effektivität des ganzen grundlegend sind:
- Mit welchen Taktiken können wir am effektivsten unsere Ziele erreichen? –
Sollte DASW Aktionen entlang der Maßgabe dulden oder verurteilen, ob sie an
Gewaltfreiheit festhalten? – Was genau ist mit dem Begriff “gewaltfrei”
gemeint? (Ist zum Beispiel Sachbeschädigung oder Umgestaltung gewaltfrei? Sind
Materialblockaden gewaltfrei? Sollte es nötig werden, was ist mit
Selbstverteidigung? Sollte dies akzeptiert werden?)
Statt dessen entwickelte DASW eine rigides Festhalten an einem vagen Konzept von
Gewaltfreiheit, ohne tatsächlich durchzudenken, was dies hinsichtlich der
Möglichkeiten bedeutet außerhalb der Gruppe teilzunehmen oder auch was den
Erfolg im erreichen unserer Ziele betrifft.
Voran!
Der 19 März war ein wichtiger Tag für die Anti-Kriegs-Bewegung in San Francisco.
Welche Kritik wir in unserem Text auch ausbreiten, so haben wir doch das Gefühl,
dass der Tag in dem Sinn ein Erfolg war, als er einen Neubeginn des Widerstands
gegen den Krieg in der Region bedeutet. Er hat gezeigt, dass es noch immer eine
Menge Leute gibt, die mit Leidenschaft dabei sind. Wir wollen keine Kraft sein,
die Aktionen im Nachhinein auseinandernimmt, sondern wollen teilnehmen am
dringend nötigen (gefühlt abwesenden) kritischen Dialog über unsere Bewegung.
Wenn wir es schaffen wollen eine radikale Bewegung aufzubauen, eine bedeutende
gesellschaftliche Kraft, müssen wir bereit sein sowohl unsere Ideen als auch
unsere Taktiken daran zu entwickeln, wie sich Situation und Kontext ändert. Wir
haben das Gefühl, dass M19 in weiten Teilen die gleichen Fehler wiederholte, die
wir bereits vor und seit der Invasion im Irak gemacht haben, und es ist an der
Zeit, dass wir über neue Wege nachdenken, wie wir Schraubenschlüssel ins
Getriebe des Krieges werfen können. Denken wir positiv aber kritisch über
vergangene Organisierungen nach.
Auch wir denken darüber nach, wie wir uns fünf Jahre nach Kriegsbeginn die
(Re)Konstruktion einer effektiven Strategie vorstellen können – eine Strategie,
die als Katalysator des Widerstands nicht nur in den Köpfen von AktivistInnen
funktioniert, sondern in jedem und jeder Person, die gegen den Krieg ist.
Zunächst müssen wir feststelllen, dass wir nicht alle “Antworten” haben, und
das wir vehement gegen alle stehen, die solches behaupten – wir denken, dass
der Weg nach vorne irgendwo im Raum zwischen all den verschiedenen Positionen
existiert, die vorgeschlagen werden mögen. Wir hoffen, dass unser Artikel als
Blitzlicht dienen kann, das weitere Diskussionen darüber anregt, wie wir am
besten weitermachen, und noch wichtiger, welche Strategien wir einsetzen
können, um die Kapizität zum Führen von Kriegen von Anfang an zu demontieren.
Nach dieser Vorrede möchten wir euch die folgenden Schlussfolgerungen
unterbreiten, die als Ausgangspunkte aus der Untersuchung einer Strategie in
Zukunft nützlich sein könnten.
Es sollte anerkannt werden, dass die dezentralisierte Struktur von DASW eine
ihrer größten Stärken ist, was ihr erlaubt offen für die Teilnahme aller Arten
von Widerständigen zu sein. Unglücklicherweise haben wir das Gefühl, dass der
deutliche Mangel an effektiver Kommunikation und Koordination zwischen
verschiedenen Arbeitsgruppen und Bezugsgruppen eingehend untersucht werden
muss, wenn wir an künftige Aktionen denken. Wir müssen Strukturen entwickeln,
die sowohl Gruppendiskussionen als auch taktische Absprachen ermöglichen. Dies
vor allem müssen wir im Kopf haben, wenn wir Treffen leiten. Das
Bezugsgruppenkonzept war erfolgreich, auch wenn das Fehlen einer großen
Massenaktion , die dazu beigetragen hätte, die Profiteure lahmzulegen ein
Problem war, und vielen ein Gefühl der Ohnmacht vermittelt hat. Unsere
horizontalen und dezentralisierten Netzwerke haben sich rund um die Welt als
von unschätzbaren Wert erwiesen, und wir denken, dass wir diese Strukturen und
Strategien kontinuierlich weiterentwickeln müssen, wenn wir erfolgreich
voranschreiten wollen.
Wir sehen M19 als einen Aktionstag, der sich fast ausschließlich auf die Taktik
der Massenfestnahme als Form des Zivilen Ungehorsams beschränkte, oft
unterstützt vom Empfinden, dass andere Aktionsformen Polizeigewalt provozieren
würden. Während DASW die Mittel für Aktionen des Zivilen Ungehorsams zur
Verfügung stellte, entwickelte sich de facto ein Verbot aller Taktiken jenseits
des Bereichs von Massenfestnahmen, das sehr schnell militantere Teile der
Bewegung ausschloss. Diese inoffizielle Verdammung führte nahezu zu einem
Monopol des Gebrauchs von Festnahmen als Strategie der Störung. Dies
beschränkte die Möglichkeitenunser Ziel zu erreichen und wurde doch glaich
beantwortet – trotz Anwendung komplett gewaltfreier Taktiken wurde die
Demonstration von der Polizei angegriffen. Dies zeigt, dass wir für
Polizeigewalt nicht einfach “Provokateure” oder den militanten Widerstand
verantwortlich machen können, als ob dieser die Repression irgendwie verdient
hätte, weil er ihn provoziert – der Staat wird stets die Kapazität und den
Wunsch haben, Gewlt gegen jene auszuüben, die sich gegen ihn wenden. Wir müssen
zusammenarbeiten und Strategien entwickeln, mit denen wir diese Repression nicht
nur überleben, sondern uns dagegen verteigen können.
Wir haben das Gefühl, dass der vielleicht größte Fehler während dieses fünften
Jahrestages das Fehlen von Akzeptanz für eine vollständige und offene Vielfalt
an Taktiken war. Teile unserer Bewegung aufgrund interner Widersprüche aktiv
auszuschließen heißt den Job des Staates zu übernehmen. Wir müssen anerkennen,
dass jede Aktion gegen den Krieg ein weiterer Schlag dagegen ist. Wir müssen
allen Formen des Widerstands Raum und Möglichkeiten bieten. Vom Gehweg oder auf
der Strasse, von Die-Ins zu Materialblockaden, vom Protestspaziergang zum Black
Bloc. Wir sollten uns mehr anstrengen, Platz für all diese unterschiedlichen
Taktiken zu schaffen, nicht gegeneinander zu handeln, sondern sich auf der
Strasse so gut es geht gegenseitig zu unterstützen.
Wir glauben, dass die Strategie an M19 weitgehend in einer Widerholung von
Taktiken bestand, die immer wider gezeigt haben, dass sie das gewünschte Ziel
auch nur irgendeines der gewählten Ziele effektiv lahmzulegen nicht erreichen.
Die 2003 eingesetzten Taktiken, insbesondere Lock-Ons, abbiegende Demos usw.
wurden vom San Francisco Police Department weitgehend neutralisiert und haben
die einstige Schlagkraft eingebüßt. Wenn wir uns bestimmte Ziele für eine
Aktion setzen, sollten wir in unserer Organisierung offen an die Frage
herangehen, welche Taktiken im speziellen Kontext Erfolg versprechen. Das
Beharren auf Ankett-Aktionen und andere Formen von Massenverhaftungen steht der
Möglichkeit im Wege, effektivere Taktiken zu entwickeln. Manchmal mag dies nach
wie vor die beste Methode sein, unser Ziel zu erreichen, zu anderen Zeiten
möchten wir vielleicht was anderes machen.
Wir hoffen, dass wir mit dem, was wir mit dem, was wir hier geschrieben haben
einen positiven Einfluß auf DASW nehmen können, dass unsere Gedanken eine
Diskussion in der Organisation, wie in der Anti-Kriegs-Bewegung als solche
anzustoßen vermag. Es gibt nichts was wir lieber sehen möchten, als dass DASW
ein stärkeres Cluster von Individuen und Personen, mit verschiedenen
Hintergründen und vielen unterschiedlichen Strängen politischen Denkens. Dass
es ein Raum wird, wo diejenigen, die entschlossen sind, den fortgesetzten US
Militarismus zu beenden in einer effektiven Kampagne Direkter Aktion
zusammenkommen können – eine Kampagne, die unsere Regierung dazu zwingt es sich
zweimal zu überlegen, bevor sie militärische Aktionen unternimmt. Um das zu
erreichen brauchen wir einen offenen Dialog im organisatorischen Raum über
Themen und Strategien. Deshalb ermutigen wir alle, die diesen Text lesen, zu
diskutieren und ihre eigenen Gedanken beizusteuern in der Hoffnung unsere
Bewegung voranzubringen.
[friendlyfirecollective.info]
Die europäische Sicherheitsarchitektur einstürzen
Für mehr sicherheitskritisches Verhalten in Europa – Ein Vorschlag zum Widerstand gegen den G8 2009 in Italien
Aus dem Widerstand gegen den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm lassen sich, wie auch bei anderen Protesten zuvor, Schlussfolgerungen zum Gelingen einer breiten Mobilisierung ziehen. Neben den drei großen selbstorganisierten Protest-Camps und einer internationalen Infotour im Vorfeld des Gipfels wurde eine internationale Bezugnahme und Vernetzung durch ein Vorbereitungscamp und Treffen außerhalb Deutschlands versucht. Innerhalb der Bewegungen wurde entschieden, sich nicht auf die G8-Klima-Debatte einzulassen und stattdessen die Proteste unter eigene Kampagnen-Themen zu stellen: Migration, Antimilitarismus und Globale Landwirtschaft.
Mit diesem Text wollen wir einige dieser Punkte mit Blick auf den G8 2009 in Italien aufgreifen und eine Kampagne gegen eine “Europäische Sicherheitsarchitektur” vorschlagen. Wir skizzieren Entwicklungen polizeilicher Zusammenarbeit auf EU-Ebene und wünschen uns eine europäische Antirepressionsarbeit, die über eine bloße Kritik und Skandalisierung von Polizeigewalt hinausgeht. Diese politische Antirepressionsarbeit muss neue Formen sozialer Kontrolle als integralen Bezugspunkt von radikalen Bewegungen ernst nehmen.
No Future für Freiheit
Spätestens nach dem 11. September 2001 haben sich nicht nur die außenpolitischen Koordinaten der EU verändert. Unter der Devise “Terror comes home” wurden seitdem weit reichende Veränderungen europäischer Innenpolitik und Polizeiarbeit hin zu einem “präventiven Sicherheitsstaat” beschlossen. Während die EU-Außengrenzen mit neuer Technik und grenzüberschreitender Zusammenarbeit weiter abgeschottet werden, nehmen Überwachung und Kontrolle innerhalb der EU stetig zu. Dazu kommen militärische und polizeiliche Auslands-Operationen der EU in sogenannten “Drittstaaten”. Die EU will Modell stehen für einen Sicherheitskomplex, den sie als “Servicanbieter” in andere Länder exportieren kann. Diese Zuspitzung richtet sich nicht nur gegen MigrantInnen und “sicherheitskritisches Verhalten”. Sie bietet willkommene Spielräume, einer wiederaufflammenden globalisierungskritischen Bewegung ein paar Knüppel zwischen die Beine zu werfen.
Die Europäische Union definiert Europa seit 1999 als einen “Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts”. Zukünftig gibt es mehr polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Straf- und Zivilsachen. InnenpolitikerInnen träumen von einem EU-Innenministerium. Eine Schlüsselfigur europäischer Innenpolitik ist Franco Frattini, der “EU-Kommissar für Justiz, Freiheit und Sicherheit”. Frattini ist Mitglied der italienischen Berlusconi-Partei Forza Italia und Vizepräsident der Europäischen Kommission.
Auf polizeilicher Ebene haben Organe der EU mehr Kompetenzen erhalten, neue Institutionen und Programme sind entstanden. 2007 trat erstmals die sogenannte “Future Group” zusammen. Sie konstituiert sich aus den Innenministern der Länder die den EU-Vorsitz der nächsten 6 Jahre innehaben. Mit dabei auch EU-Kommissar Frattini und der Direktor der “Grenzschutzagentur” Frontex. Die “Future Group” bezeichnet sich selbst als “informell” und nimmt Einfluss auf innenpolitische Weichenstellungen in Bezug auf den EU-Vertrag und die Verhandlungen in Lissabon. Die Einrichtung der “Future Group” fiel zusammen mit der EU-Präsidentschaft Deutschlands im Jahr 2007. Unter dem Motto “Europa sicher leben” hat der deutsche Bundesinnenminister Schäuble erfolgreich an einer Verschärfung europäischer Innenpolitik gearbeitet[1].
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit
Bisher war grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit nur zwischen einzelnen Ländern im “Vertrag von Prüm” geregelt und fand ihren Ausdruck z.B. beim G8-Gipfel 2003, als deutsche Polizei in Genf mit 500 Kräften und 5 Wasserwerfern gegen DemonstrantInnen eingesetzt war. Der “Vertrag von Prüm” war ein Test und wird nun in den “Rechtsrahmen der EU überführt”. Er ist damit für alle Mitgliedsländer gültig. Alle Polizeibehörden werden Zugriff auf DNA- und Fingerabdruckdateien sowie Fahrzeugregisterdaten haben. Informationsaustausch zu “Terrorismusverdächtigen und reisenden Gewalttätern” wird vereinfacht, um Reisesperren zu verhängen oder damit “Randalierer schnell erkannt und festgenommen” werden können. Zur Europameisterschaft 2008 in Österreich und in der Schweiz sind 2.000 deutsche PolizistInnen eingeplant. EU-Kommissar Frattini hat den Aufbau einer “EU-Spezialtruppe gegen Fußball-Gewalt” angekündigt. Sie soll bei der Europameisterschaft 2008 erstmals zum Einsatz kommen. Europol soll die Ausbildung dieser “speziellen europäischen Einheiten” übernehmen.
Europol als Schnittstelle polizeilicher Zusammenarbeit in Den Haag darf nun nicht mehr nur Daten sammeln und Polizeien der EU-Mitgliedsländer beraten. Durch einen EU-Parlamentsbeschluß vom Januar 2008 wird aus dem “Europäschen Polizeiamt” nun eine EU-Agentur zur “Koordinierung, Organisation und Durchführung von Ermittlungen und von operativen Maßnahmen”. Der Zuständigkeitsbereich erweitert sich von “organisierter Kriminalität” um “andere Arten schwerer Straftaten”, also auch politische Aktionen. Der Zugriff auf das “Europol-Informationssystem” erfolgt zukünftig ohne Umweg über “Verbindungsbeamte”. Diese “Verbindungsbeamte” werden von Polizeien aller Mitgliedsstaaten in europäische Kontroll- und Entscheidungsgremien entsandt. Dazu sind sie in polizeilichen Lagezentren bei Großereignissen vertreten. Sie haben offiziell eine “beratende Funktion”. Tatsächlich stellen sie wichtige Knoten im informellen Netzwerk europäischer Polizeikooperation dar. Sie haben Zugriff auf alle Datenbanken des Entsenderlandes und sind mit Kenntnissen z.B. von politischen Gruppen bei Gipfelprotesten ausgestattet. Verbindungsbeamte koordinieren z.B. Reisesperren, die zuletzt beim G8 2007 dazu führten dass 600 Personen nicht einreisen durften weil sie z.B. zuvor “im Zusammenhang mit G8 auffällig wurden”.
Europa – Ein Raum von Überwachung und Kontrolle
Die Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten wird ausgeweitet. In Deutschland haben das Bundeskriminalamt und der Verfassungsschutz ein “Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum” bezogen, wo sie zwar räumlich getrennt sind, aber tägliche gemeinsame Lagebesprechungen durchführen und sich mittags in der Cafeteria treffen. Diese Kooperation führte zu einer massiven Überwachung der Anti-G8-Bewegung und der Einleitung von Ermittlungsverfahren mit Terrorismus-Vorwurf. Der deutsche Terrorismus-Paragraph erlaubt weitgehende Eingriffe in die Privatsphäre und führte z.B. zur Feststellung aller Mobiltelefone bei Treffen des linksradikalen dissent!-Netzwerks gegen den G8. Die Akteneinsicht Betroffener ergab dass die Ermittlungen zwar von der Polizei betrieben, aber vom Geheimdienst initiiert waren. “Gemeinsame Terrorismusabwehrzentren” sollen auf Vorschlag des deutschen Innenministeriums in allen EU-Mitgliedsstaaten entstehen.
Die Überwachung des Internets nimmt europaweit zu. Das deutsche Bundesinnenministerium hat eine europäische Initiative “check the web” zur Bekämpfung eines “internationalen Terrorismus” gestartet. Am 8. Mai 2007 hat Europol ein “Informationsportal” freigeschaltet. Deutsche Polizei und Geheimdienste wollen zukünftig eine gemeinsame “Internet Monitoring und Analysestelle” betreiben. Europaweit sollen solche “Internetüberwachungszentren” entstehen, die Webseiten zum Teil automatisiert überwachen und in polizeilichen Datenbanken archivieren. Neue Software findet in diesen Datenbankeinträgen “Entitäten”, also begriffliche Übereinstimmungen oder Schnittstellen zwischen Personen und Objekten (“Semantische Technologien”). Die Sicherheitsindustrie entwickelt Programme, die sogar in unterschiedlichen Dateiformaten suchen kann. Damit können Text-, Audio-, Video- und GPS-Daten miteinander in Beziehung gesetzt werden. Verfolgungsbehörden einiger Länder nutzen bereits Software der Firma SPSS, die nach Auswertung von Datenbeständen eine “Vorhersage von Straftaten” ermöglichen soll. Die Firma beschreibt diesen Vorgang als die “Evolution in der Verbrechensbekämpfung”.
Mehr polizeiliche Repression und justizielle Verfolgung lässt sich auch in anderen Ländern Europas beobachten. In Italien wurden beispielsweise in zahlreichen Verfahren im Kontext des G8 2001 oder Demonstrationen gegen Militarismus und Faschismus Haftstrafen zwischen 6 und 12 Jahren verhängt. In anderen Ländern werden Polizeigesetze geändert, um Polizeien mehr Spielraum gegen “sicherheitskritisches Verhalten” zu verschaffen. Das neue österreichische Sicherheitspolizeigesetz vereinfacht rassistische Kontrollen von MigrantInnen. Die deutsche Bundespolizei bekommt mehr Kompetenzen für Einsätze im Ausland, aber auch im Inland etwa gegen politische Proteste. EU-Mitgliedsstaaten setzen europäische Vorgaben um und “harmonisieren” ihre Landesgesetze beispielsweise im Rahmen der “Vorratsdatenspeicherung” (Data Retention). Telekommunikationsanbieter und Provider müssen Verbindungsdaten speichern und der Polizei auf Anfrage übermitteln. Die Polizei ist damit in der Lage jede Kommunikation nachzuvollziehen und soziologische Beziehungs-Diagramme zu erstellen. Schutz vor Überwachung wird zunehmend eingeschränkt. So sind NutzerInnen von Verschlüsselung in Österreich und Großbritannien gesetzlich gezwungen der Polizei Paßwörter herauszugeben. InnenpolitikerInnen betreiben eine allgemeine Zusammenlegung aller polizeilichen Datenbanken europäischer Polizeien.
Institutionen und Forschungsprogramme der europäischen Sicherheitsarchitektur
Um massenhaften Widerstand etwa bei G8-Gipfeln besser kontrollieren zu können wurden neue Institutionen und Forschungsprogramme ins Leben gerufen. Europäische Polizeieinheiten führen gemeinsame Trainings und Manöver in der Bekämpfung von Demonstrationen durch. In europäischen Polizei-Akademien werden Einsatztaktiken für “Crowd Managment” entworfen. Eine zentrale Rolle spielt die Europäische Polizeiakademie, CEPOL, mit Sitz in Hampshire, Großbritannien: “CEPOL’s mission is to bring together senior police officers from police forces in Europe – essentially to support the development of a network – and encourage cross-border cooperation in the fight against crime, public security and law and order by organising training activities and research findings”. Nach den Gipfelprotesten in Genua und Göteborg 2001 initiierte die EU 2004 das Forschungsprogramm “Coordinating National Research Programs on Security during Major Events in Europe” (EU-SEC). EU-SEC koordiniert Polizeibehörden von EU-Staaten und Europol und gibt ein Handbuch gegen Gipfelproteste heraus. Polizeien wird empfohlen, Protestbewegungen zu überwachen, Daten auszutauschen, Reisesperren zu verhängen und eine aggressive Medienstrategie zur Delegitimierung des Widerstands zu betreiben. Mittels Fragebögen werden Informationen über europäische Gruppen und Personen gesammelt: Aktionsformen, Webseiten, Mailadressen, internationale Kontakte, bevorzugte Reisewege, Transportmittel und Unterkünfte. EU-SEC wird koordiniert und gesteuert vom “United Nations Interregional Crime and Justice Research Institute” (UNICRI). Unter dem Motto “Advancing security, serving justice, building peace” unterhält das UN-Institut mehrere Arbeitsgruppen zu Themen rund um Sicherheit. UNICRI gibt das “Counter-Terrorism Online Handbook” heraus. Beim UNICRI angesiedelt ist eine Arbeitsgruppe “International Permanent Observatory on Security during Major Events” (IPO) mit Sitz im italienischen Turin. Das IPO berät Regierungen bei der Planung der Sicherheitsarchitektur für Großereignisse. Die Inanspruchnahme ist für die anfragende Behörde kostenlos. Zur Zeit wird an einem “Handbuch für G8-Staaten” gearbeitet. Offizielle Einsatzgebiete seit der Gründung 2006 waren bisher die G8-Gipfel in St. Petersburg und Heiligendamm, der Weltbank-/ IWF-Gipfel in Singapur und das APEC-Treffen in Vietnam. Auch die Olympiade 2008 in Peking sowie der G8-Gipfel in Japan 2008 werden vom IPO “betreut”.
Ein stark gekürzter Auszug des Unterstützungsangebots:
- Aufklärung: Geheimdienstdatenbanken, Ziel- und Problemidentifizierung, Erhalt und Auswertung von Informationen, Internet- und Telekommunikationsangelegenheiten
- Notfallplanung und Krisenmanagement: Strafverfolgungsplanung, Festnahmen und Gerichtsmassnahmen, Beschwerden gegen Polizei und Sicherheitskräfte » Verkehrsmanagement: Automatische Kennzeichenerkennung
- Kommandogewalt und Kontrolle: IT Infrastruktur, Videoüberwachungsanlagen, Kommandozentralen, Gegenangriffe für Cyber-Attacken
- Planausarbeitung und Projektmanagement: Rekrutierung von Planungspersonal, Finanzmanagement
- Sicherheit am Veranstaltungsort: Zäune, Absperrungen, Schranken und Tore, Gegenangriffe, Reaktionen auf öffentliche Unordnung, Pferde und Hunde, Handhabung von Menschenmassen, Strategien für “schwache Ziele” wie z.B. Sponsoren und Medienzentren sowie Hotels
- Medien- und PR Strategien: Pressebeziehungen, Medienbeziehungen, Einbezug der lokalen Gemeinden, Geschäftsinteressenten
- Schutz von wichtigen Personen: geheimer Schutz, Management von Roten Zonen, Konvoi-Management, Evakuierungsplanung, Gatten/Partnerprogramme
- Luftraumunterstützung: Hubschrauberoperationen, Luftraumobservation und Logistik
- Logistik und personelle Ressourcen: Unterkunft und Ausrüstung, Transportzeitplanung, Erholung und Essensversorgung
Border Control: Migrationskontrolle wird militarisiert
Mit der Erweiterung der EU-Mitgliedsländer und dem Wegfall von Grenzkontrollen werden die neuen EU-Grenzen technisch aufgerüstet: Nachtsichttechnik, automatisierte Auswertung von Videoüberwachung, Hochfrequenzkabel die den Wassergehalt von in der Nähe befindlicher Körper messen und weitergeben. Neue gemeinsame Lagezentren sind entstanden. Durch die Ausweitung des Schengen Informationssystems II (SIS II) stehen den Polizeien mehr Daten zur Verfügung. Im Visum Informationssystem (VIS) sollen Fingerabdrücke und biometrische Daten von MigrantInnen gespeichert werden. InnenpolitikerInnen beklagen die unzureichende polizeiliche Kontrolle von MigrantInnen und wünschen sich den Einsatz von RFID-Chips (Chips mit Radiowellen) in Reisepässen. Die Chips könnten etwa an öffentlichen Orten InhaberInnen abgelaufener Visa akustisch identifizieren, ohne dass der Pass vorgezeigt werden müsste.
Mit der Gründung der “Grenzschutzagentur Frontex” in Warschau hat die EU-weite “Migrationsabwehr” ein weiteres Standbein bekommen. Der Generaldirektor Ilkha Laitinen, ein finnischer Grenzoffizier, fasst das “Integrated Border Management” von Frontex mit dem folgendem Kriterium zusammen: “Alle, die es nicht verdienen und die man nicht auf seinem Territorium haben will, müssen aufgehalten werden”. In einem “Risikoanalysezentrum” werden Flüchtlingsbewegungen prognostiziert, Informationen an beteiligte Grenzschutzpolizeien weitergegeben und Maßnahmen “empfohlen”. Frontex führt ein “technisches Zentralregister” (“Toolbox”) für Ausrüstung der Mitgliedstaaten zur Kontrolle und Überwachung der Außengrenzen. Frontex führt gemeinsame Operationen mit nationalen Polizeien durch (“Frontex Joint Support Teams”). Zwar verfügt Frontex über keine eigenen Einheiten zur Flüchtlingsbekämpfung. Grenztruppen der Mitgliedsländer werden aber massiv aufgerüstet. So haben die italienischen Carabinieri neue Boote, Hubschrauber und Überwachungstechnik erhalten. Im Zentralregister von Frontex sind nach eigenen Angaben 115 Schiffe, 27 Hubschrauber, 21 Flugzeuge eingetragen. Neben Trainings führt Frontex Forschungsprogramme durch. So wird etwa der Einsatz von “Drohnen” zur Überwachung der Grenzen untersucht und empfohlen. Direktor Laitinen wünscht sich zukünftig eigenes Material und operative Kräfte.
Polizeiliche Aufstandsbekämpfung außerhalb der EU
Der Vertrag von Lissabon sieht “Reformen” auch im Bereich der Militärpolitik vor. Die “Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik” (ESVP) fordert eine “schrittweise Verbesserung der militärischen Fähigkeiten”. Spätestens 2010 soll die EU bewaffnete Einheiten bereitstellen. Die erste EU-Battlegroup wurde im Januar 2007 für vollständig einsatzfähig erklärt, eine andere war bereits 2006 maßgeblich am EU-Militäreinsatz in Kongo beteiligt. Die EU hält allerdings ein weit weniger beachtetes Mittel zur Intervention in “Drittstaaten” vor: Die “Europäische Gendarmerietruppe” (EGF). Die EGF ist eine paramilitärische Polizeieinheit, ihre Einrichtung wurde auf den G8-Gipfeln 2002 und 2004 beschlossen. Sie soll innerhalb von 4 Wochen 3.000 PolizistInnen mobilisieren können. Truppen stellen bisher die Niederlande, Frankreich, Spanien, Italien und Portugal. Die EGF soll nach Militäreinsätzen in Krisengebieten die polizeiliche Kontrolle übernehmen und die “Öffentliche Ordnung” beim “Auftreten öffentlicher Unruhen” gewährleisten. Der Einsatz von Polizei im Ausland gilt als “Ziviles Instrument”. Bisher ist die Wahrung der “Öffentlichen Ordnung” in “Drittstaaten” Aufgabe der Militärs, die bereits mit polizeilichen Einheiten zusammenarbeiten. In Bosnien wurden z.B. Angehörige der deutschen Bundeswehr von italienischen Carabinieri ausgebildet. Zu den offiziellen Aufgaben der EGF gehört z.B. “das gesamte Spektrum polizeilicher Einsätze, zivile Befehlsgewalt oder militärisches Kommando, Kontrolle lokaler Polizeibehörden, Strafermittlungstätigkeiten, Tätigkeiten zur geheimdienstlichen Informationsbeschaffung, Schutz des Eigentums” etc. Das Statut der EGF schließt einen Einsatz innerhalb der EU nicht aus. Das Hauptquartier der EGF ist im italienischen Vicenza in einer Kaserne der Carabinieri untergebracht. Ebenfalls in Vicenza unterhält die Polizeitruppe eine eigene Akademie (COESPU), auf der die eigenen Kräfte sowie Einheiten anderer Länder ausgebildet werden. Die Akademie wird von den G8-Staaten finanziert. Bei der COESPU erhielten auch pakistanische und kenianische Polizeiführer eine Ausbildung in “Riot Control”, die im Dezember 2007 Hunderte DemonstrantInnen das Leben kostete.
Die Bedeutung für radikale Bewegungen
“Die Unterscheidung zwischen Völkerrecht im Frieden und Völkerrecht im Krieg passt nicht mehr auf die neuen Bedrohungen”, erklärt der deutsche Innenminister Schäuble. “Die Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit ist obsolet”, pflichten die deutsche Kanzlerin und der Chef des Bundeskriminalamts bei. Was bedeuten diese Entwicklungen für die politische Praxis von radikalen Bewegungen im Allgemeinen und der europäischen globalisierungskritischen Bewegung im Besonderen, außer “noch mehr Repression”? Eine Auseinandersetzung mit Repression muss ein integraler Bestandteil einer radikalen Bewegungspraxis sein. Deutlich wird, dass sich die Spielräume für linke Intervention durch den Sicherheitswahn nach dem 11.September nicht gerade vergrößert haben. Wir denken, dass es nicht nur das Tempo oder das Ausmaß der Maßnahmen ist, das sich verändert. Die gesamte gesellschaftliche Matrix, in der linksradikale Politik gemacht wird, gerät in Bewegung. Die Qualität von Überwachung und sozialer Kontrolle hat eine andere Form angenommen. Das hat neben neuen technologischen Möglichkeiten vor allem zu tun mit transnationaler Koordination von Kontrollinstanzen und der politischen “Verschränkung innerer und äußerer Sicherheit”. “Krieg” und “Repression” sind dann irgendwann von gestern, heutzutage dreht sich alles um “Sicherheit”. Gleichzeitig sehen wir jedoch auch konkrete Möglichkeiten, die sich vollziehende Einengung von Bewegungsräumen als Chance für neue Bündnisse zu begreifen, die breite gesellschaftliche Diskussionen und unerwartete Interventionen ermöglichen. Eine Verknüpfung von klassischer Antmilitarismus-, Antirepressions- und Migrationspolitik liegt jedenfalls auf der Hand. Und die Tatsache, dass das Ausmaß der neuen Maßregeln und Institutionen bis weit in den Alltag einer jeden Europäerin hineinreicht dürfte genügend Anknüpfungspunkte bieten, einen pro-aktiven Ungehorsam gegenüber der europäischen Sicherheitsarchitektur auszutragen. Unseres Erachtens bietet der G8-Gipfel 2009 hier einige Anknüpfungspunkte.
Gegen die europäische Sicherheitsarchitektur
Der G8 in Italien böte die Möglichkeit, die internationale polizeiliche Koordinierung gegen Gipfelproteste öffentlich zu machen und zu kritisieren. Einige dieser Maßnahmen und Institutionen wurden unter der Regie und Kontrolle des ehemaligen italienischen Außenpolitikers Frattini, dem gegenwärtigen “EU-Kommissar für Justiz, Freiheit und Sicherheit” installiert. Das EU-SEC-Programm gegen politische Massenproteste nahm nach dem G8 in Genua seinen Anfang. Die UN-Initiative “International Permanent Observatory on Security during Major Events” wird von Turin aus koordiniert. Wir gehen davon aus dass der G8 2009 nach den Erfahrungen des G8 2001 für alle diese Einrichtungen ein Prestige-Projekt wird. Ihre Vorbereitungen für den G8 2009 dürften längst begonnen haben.
Würden sich italienische Bewegungen für Militarismus als ein prominentes Mobilisierungsthema gegen den G8 entscheiden, könnte diese Kritik einer militarisierten Außenpolitik zusammengehen mit dem Widerstand gegen die neuen Koordinaten einer europäischen Innenpolitik. Widerstand gegen diese “Verpolizeilichung innerer und äußerer Sicherheit” könnte an der Bewegung gegen die NATO-Basis Dal Molin im italienischen Vicenza anknüpfen. Es gibt eine jahrelange Protestbewegung gegen den Ausbau der Basis, die bereits zu einigen Großdemonstrationen mobilisiert hat. Vicenza als Sitz der Europäischen Gendarmerietruppe könnte fortan ebenso ein Symbol für den Widerstand gegen die paramilitärische Organisierung europäischer Polizei werden. Hinzu kommt, dass nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo mit “Eulex” die größte EU-Polizeimission mit 2.000 Polizeikräften, hauptsächlich aus Deutschland und Italien, beschlossen wurde. 700 von ihnen sollen bei Demonstrationen eingesetzt werden. Von italienischer Seite dürfte diese Aufgabe von den Carabinieri-Einheiten der EGF übernommen werden. “Eulex” unterstützt die KFOR-Truppen der NATO im Kosovo mit dem Aufrechterhalten der “öffentlichen Ordnung” und verbindet militärische mit “ziviler” Intervention.
Antimilitaristische Bewegungen haben eine ambitionierte Agenda für die nächsten 1 1/2 Jahre. Ein Auszug:
- Im März 2008 wird vor dem NATO-Hauptquartier in Brüssel demonstriert (“Bombspotting”)
- Im April 2008 finden Proteste gegen den 20. NATO-Gipfel in Bukarest statt
- Im Mai 2008 will die “Parlamentarische Versammlung der NATO” (“kleine Schwester der NATO”) ihre Frühjahrstagung in Berlin abhalten.
- Am 5. Juli 2008 findet im Rahmen der Proteste gegen den G8 in Japan ein Internationaler Aktionstag statt, den japanische Anti-Kriegs-Gruppen vorbereiten
- Im Sommer 2008 gibt es in Deutschland ein Widerstandscamp gegen die Einrichtung eines Flugfeldes zum Trainieren von Bombenabwürfen (“Bombodrom”)
- 2009 jährt sich die Gründung der NATO zum 60ten Mal. Die “Feierlichkeiten” finden in Frankreich statt. Die Mobilisierung gegen den G8 2009 könnte diese Proteste verlängern und mit der italienischen antimilitaristischen Bewegung verbinden.
Die Mobilisierung nach Italien wird einen Umgang mit der Erinnerung an die Tage und Nächte von Genua finden müssen. Vermutlich werden etliche AktivistInnen wegen Erfahrungen mit Polizei und Carabinieri (oder auch nur Berichten ihrer FreundInnen) nicht an einem G8-Protest in Italien teilnehmen wollen. Viele fühlen sich seitdem traumatisiert, vielleicht lässt sich das sogar für die Bewegungen des “Summer of Resistance” in Göteborg und Genua 2001 verallgemeinern. Mit dieser Traumatisierung wäre ein Ziel polizeilicher Repression erreicht: Die Unterbindung von Protest. Eine der möglichen Strategien zur Überwindung eines Traumas ist das Erinnern und Wiedererzählen. Eine Mobilisierung gegen militarisierte europäische Außen- und Innenpolitik könnte z.B. die Rolle der paramilitärischen Carabinieri in Genua verbinden mit ihrer gegenwärtigen Einbindung in die “europäische Sicherheitsarchitektur” (Frontex, EGF). Es ist davon auszugehen, dass 2009 noch nicht alle Hauptverfahren rund um den G8 in Genua gegen DemonstrantInnen und Angehörige der Polizei abgeschlossen sind. Verurteilte AktivistInnen gehen in Revision. Vermutlich wird die Öffentlichkeitsarbeit zu diesen Prozessen in die Mobilisierung 2009 integriert.
Im September 2008 findet im schwedischen Malmö das Europäische Sozialforum statt. Dort soll es ein Panel zu Repression geben. Wir schlagen vor, das Sozialforum wie auch ein geplantes paralleles autonomes Treffen als eine der Etappen für eine europäische Koordinierung von polizeikritischen Gruppen, Antirepressionsinitiativen und solidarischen JuristInnen zu nutzen. Dort könnten innenpolitische Entwicklungen von Überwachung und Kontrolle in Europa zusammengetragen werden. Interessieren würde uns z.B., welchen Widerstand es in Europa gegen die “Europäische Sicherheitsarchitektur” gibt, wie Forderungen in anderen Ländern in die Öffentlichkeit getragen werden, wie sich auf Grund- und Freiheitsrechte bezogen wird. Daran anknüpfend könnten gemeinsame Perspektiven ausgelotet werden. Vielleicht könnte aus diesem Treffen auch eine europäische Vernetzung zur Antirepressionsarbeit beim G8 in Italien hervorgehen.
Dieser Text ist als eine Skizze zu verstehen, die einen Beitrag zum internationalen Gipfelprotest 2009 liefern möchte. Bestimmt ist es auch genauso plausibel, statt eine Kritik der europäischen Sicherheitsarchitektur eher Migration, Prekarisierung oder radikale, antikapitalistische Positionen zu Klimapolitik in den Mittelpunkt unserer Proteste zu rücken. Bisher sind noch keine Überlegungen zur Mobilisierung gegen den G8 2009 über die Grenzen Italiens hinaus bekannt. Über mehr englischsprachige Berichte, Positionen und Diskussionen freuen wir uns. Wir sind erreichbar über euro-police [at] so36.net.
Activists from Gipfelsoli | Prozessbeobachtungsgruppe Rostock | MediaG8way
1 “Europa sicher leben | Living Europe Safely | L’Europe, bien sûr(e)”: http://euro-police.noblogs.org/gallery/3874/Europa_sicher_
leben.pdf
(GiIn) |