Im Vorbereitungskreis (Aktionsbündnis gegen die NATO-"Sicherheitskonferenz") wurde deshalb beschlossen, diesmal die Verleihung der sogenannten "Friedensplakette“ ins Fadenkreuz des Protestes zu rücken. Seit 2005 wird dieser Kriegsverdienstorden vom Konferenz-Veranstalter, dem Rüstungslobbyisten und Ex-Kanzlerberater Horst Teltschik, vergeben. Dieses groteske Schauspiel wurde seitdem, im Rahmen eines Empfanges der Bayerischen Staatsregierung, in der Münchner Residenz aufgeführt. Mit dem Aktionskonzept „WIR STELLEN UNS QUER!“ sollte deshalb versucht werden, den Transfer, vom Tagungshotel zur Münchner Residenz, zu stören, zu behindern und am besten natürlich zu verhindern.
Eine Reaktion der zuständigen Ordnungsbehörde (KVR) ließ nicht lange auf sich warten. Die ursprünglich angemeldete Demonstrationsroute, auf direktem Weg vom Marienplatz (Kundgebungsort) zur Residenz, wurde verboten. Das Bündnis machte gegenüber KVR und Polizei jedoch unmissverständlich klar, dass sich die Demo nicht aus der Innenstadt drängen lassen würde. Am Ende wurde schließlich (annähernd) die Route bewilligt, die anfangs angestrebt war.
SIKO-Wochenende
Zum Auftakt am Freitag beteiligten sich ca. 300 Leute, unter dem Motto "Join the White Block!", an einer satirischen "Jubeldemo". Anschließend fand auf dem Marienplatz eine Antikriegs-Kundgebung statt: Bahman Nirumand, iranisch-deutscher Publizist, stellte die Kriegspolitik der NATO-Staaten im Nahen und Mittleren Osten ins Zentrum seiner Kritik. Rechtsanwalt Michael Hofmann, der sich während des G8-Gipfels in Heiligendamm im "Legal Team" engagierte, machte auf die repressiven Zustände und den permanenten Abbau der Grund- und Menschenrechte in Deutschland aufmerksam. Stephen Summers' (Vietnam-Veteran) Beitrag zielte auf den republikanischen Präsidentschaftskandidaten, John McCain, der als Bomberpilot im Vietnam-Krieg an Krigsverbrechen beteiligt gewesen sei. - Für Begeisterung sorgte zudem ein Grußwort des nicaraguanischen Poeten und Befreiungstheologen, Ernesto Cardenal, in dem er u.a. verlauten ließ: "Es gibt keinen Heiligen Krieg, was heilig ist, ist der Friede."
Der Samstag zeichnete sich erstmal dadurch aus, dass weitaus mehr KriegsgegnerInnen als erwartet angereist waren, die Schätzungen bewegen sich zwischen 5000 und 7000. Als einer der ersten Redner berichtete Andre
a Licata vom Widerstand gegen den Ausbau der US-Militärbase Dal Molin in Vizenca. Ulla Jelpke, Bundestagsabgeordnete der LINKEN, wies auf die Terrorismus-Paragraphen 129(a) und (b) hin, mit denen Kritikerinnen und Kritiker der herrschenden Politik kriminalisiert werden. Betroffen seien vor allem Antimilitaristen und Globalisierungskritiker sowie türkische und kurdische Linke.
Vor dem Hintergrund, dass am Vormittag der türkische Ministerpräsident Erdogan die sogenannte "Sicherheitskonferenz" eröffnet hatte, erwarteten vor allem die zahlreichen kurdischen und türkischen AktivistInnen den Beitrag von YEK-KOM (Föderation Kurdischer Vereine in Deutschlan
d e.V) mit Spannung. Oruc Dapar, im Vorstand von YEK-KOM, bezog dazu auch eindeutig Stellung: "Wir empfinden es als eine ungeheure Brüskierung, dass diese Konferenz, die unter dem Motto “Frieden durch Dialog” stattfindet, ausgerechnet vom türkischen Ministerpräsidenten Erdogan eröffnet wird. Von ihm
, der mitverantwortlich ist für die massiven Bombardierungen kurdischer Dörfer im Nordirak und die Tötung dutzender kurdischer Guerillakämpfer durch die türkische Armee und Sicherheitskräfte. Der ebenso mitverantwortlich ist für die seit Monaten andauernden antikurdischen Hetzkampagnen in der Türkei, der Verbotsdrohungen gegenüber der pro- kurdischen Partei der demokratischen Gesellschaft (DTP), der Angriffe auf Parteibüros, Zeitungsredaktionen und zivilgesellschaftliche Organisationen. ...hiergegen und gegen die Vernichtungs- und Ausbeutungskonzepte der neuen Weltordnung müssen wir unseren entschiedenen Widerstand setzen. ... Deshalb sagen wir: "Êdî bese – Es reicht“.
Der beeindruckendste Moment dieses Tages war allerdings, als der vom "Munich American Peace Committee" gestiftete erste Jahrespreis "FRIEDEN AUS ÜBERZEUGUNG, an den U.S.-Army-Deserteur, Chris Capps-Schubert, überreicht wurde. Chris hatte bereits einen Kriegseinsatz im Irak hinter sich, bevor er zu der Überzeugung gelangte, sich an keinem weiteren völkerrechtswidrigen Angriffskrieg mehr zu beteiligen. Seiner bevor stehenden Kommandierung nach Afghanistan entzog er sich 2007 durch Desertion.
Tosender Beifall brandete über den Marienplatz, als der sichtlich gerührte Preisträger sich bedankte: "Euch Allen hier auf dieser Protestkundgebung: Ich möchte Euch danken, nicht nur für die Verleihung dieses Preises an mich, sondern auch dafür, dass Ihr die Arroganz dieser Führer bloßstellt und ihr entgegentretet, die gewöhnlich Entscheidungen treffen, welche das Leben derjenigen zerstören, die gewiss keine Bedrohung der Sicherheit ihrer Länder sind..." - Die passende Antwort der Antikriegsbewegung auf die jährliche Auszeichnung mit der sogenannten "Friedensplakette", diesmal an einen kanadischen Soldaten – stellvertretend für alle Soldaten, die "im Rahmen der NATO international Friedensdienst leisten", so Teltschik. - Krieg ist Friedensdienst!? -
Am gleichen Tag fand auch in Bologna eine landesweite Demonstration gegen eine Welle der Repression statt; seit dem Jahr 2000 wurden ca. 9000 Menschen in Italien mit Verfahren wegen politischer Aktivitäten überzogen. Das Grußwort aus Bologna an die Demo in München schloß mit
den Worten "DIE SICHERHEIT DER HERRSCHENDEN TÖTET! - BRECHEN WIR DAS SCHWEIGEN!" - Das Münchner Bündnis hatte zuvor eine Solidaritätsadresse nach Bologna geschickt, die dort vor ca. 1000 TeilnehmerInnen verlesen wurde.
Auch die Kommunistische Partei Griechenlands verlas ihre Grußadresse. Es folgte eine gemeinsame Erklärung der 3 Genossen, die im letzten Jahr, nach einem versuchten Brandanschlag auf Bundeswehrfahrzeuge, mit dem Terrorparagraphen 129a kriminalisiert wurden. "...Mit den Paragraphen 129 (a) und (b) soll ein innerer absoluter Feind konstruiert und bekämpft werden. Die Staatsmacht verfolgt nur ein Ziel: Den Widerstand gegen die herrschende Politik zu zerschlagen. Unsere Antwort ist die offensive unteilbare Solidarität miteinander und der gemeinsame Widerstand gegen Krieg, Folter und Terror!... so Axel, Olli, u
nd Florian.
Gegen 18:00 Uhr setzte sich dann die Demo, lautstark und mit den üblichen chaotischen Anlaufschwierigkeiten, in Bewegung. Die Route war fast komplett auf beiden Seiten eingegittert, der "Internationalistische Block" zudem in engem Spalier der Sondereinsatzkräfte. Schon fast mit Verwunderung wurde registriert, dass es dieses Jahr zu keinen größeren Übergriffen auf den Block kam; womöglich lag es daran, dass die Demo durch eine der exklusivsten Einkaufsmeilen Münchens zog. Rund um den Odeonsplatz (Abschlußkundgebung) hatte sich ein massives Polizeiaufgebot formiert, welches zaghafte Versuche zur Residenz durchzubrechen im Keim erstickte.
Es ist nicht gelungen sich den Kriegsverbrechern "in den Weg zu stellen", aber zumindest waren wir näher am Ort des Geschehens als je zuvor; der "Bayerische Hof" war während unserer Demos nie in Sichtweite. Und, vorausgesetzt die "Herrschaften" waren bereits in der Residenz, wir waren so laut, dass sie unsere Kritik nicht überhören konnten. Einen kleinen Erfolg, ohne überhaupt demonstriert zu haben, haben wir jedoch zu verbuchen. Die Verleihung des Kriegsverdienstordens, die im Zentrum unserer Kritik stand, fand bereits am Vormittag, völlig unspektakulär, im "Bayerischen Hof" statt.
Aus dem Bericht des Ermittlungsausschusses (EA)
"Der EA der Roten Hilfe erfasste am Wochenende insgesamt über 45 Festnahmen. Nach Ende der Demonstration wurden mindestens drei größere Gruppen in der Fußgängerzone eingekesselt und teils über eine Stunde festgehalten. Dabei wurden Personen festgenommen, Personalien festgestellt und Videoporträtaufnahmen angefertigt. ... Zum Teil wurden penibelste Kontrollen auf den Wegen zur Auftaktkundgebung durchgeführt, bei denen vor allem junge DemonstrationsteilnehmerInnen bis auf die Socken durchsucht wurden.... In mindestens einem Fall liegen der Roten Hilfe Informationen vor, nach denen als DemonstrantInnen getarnte mutmaßliche Zivilpolizisten Umstehende zum Durchbrechen von Polizeiabsperrungen animieren wollten. ..."
Zur Konferenz selber
Obwohl die Kriegskonferenz im Bayerischen Hof eine Privatveranstaltung des Herrn Teltschik ist, greift er jedes Jahr tief in die Taschen der SteuerzahlerInnen. Über 840 000 Euro wurden auch dieses Jahr aus Bundesmitteln für den Kriegsratschlag zur Verfügung gestellt. Zudem wurden rund 420 SoldatInnen der Bundeswehr für den Schutz der Veranstaltung und die Logistik eingesetzt. 110 bewaffnete Soldaten übten auf ausdrücklichen Wunsch der Bundeswehr das Hausrecht im Tagungshotel aus. - Dies ist eindeutig ein rechtwidriger Einsatz der Bundeswehr im Inneren und somit ein klarer Verstoß gegen das Grundgesetz!
Zwar dominierten auf der Konferenz Sachfragen - Russland, Kosovo und natürlich Afghanistan -, sie bildete aber auch den Auftakt für die Bestrebungen, auf dem nächsten Bündnisgipfel in Bukarest Anfang April die Neufassung des Strategischen Konzeptes der NATO aus dem Jahr 1999 in Auftrag zu geben.
Der türkische Ministerpräsident Erdogan stellte in der Eröffnungsrede am Samstag die strategische Bedeutung seines Landes heraus. Schon jetzt führe die viertgrößte Energie-Importroute der EU durch die Türkei. Ihre Funktion als "Energiekorridor" verdreifache
die Bedeutung der Türkei. Er vertrete zudem ein "Schlüss
elland" im Zentrum einer kriegsgeschüttelten Region. Der türkische Premier kritisierte zugleich das zaghafte Verhalten einiger europäischer Staaten gegenüber der kurdischen Terrororganisation PKK und ihren Tarnorganisationen. Die PKK finanziere sich über Menschenschmuggel und Drogenhandel. Insofern schadeten zögerliche Länder ihrer eigenen Jugend. Er kündigte an, die Türkei werde ihre militärischen Operationen gegen die PKK im benachbarten Nordirak fortsetzen, bis diese Bedrohung für ihre Bürger beseitigt sei.
Die mediale Bombe, die auf der Konfe
renz selber platzte, war die dpa-Tickermeldung, die deutsche Bundesregierung plane eine erhebliche Ausweitung ihres Kriegseinsatzes in Afghanistan. Es geht um eine Aufstockung von 3500 auf 5000 bis 6000 Soldaten sowie eine Ausdehnung des Einsatzgebietes um eine Provinz im Westen des Landes. Der deutsche Kriegsminister, Franz-Josef Jung, bat die Verbündeten um Verständnis für die nach außen zögerliche Haltung der Bundesregierung, bezüglich eines Einsatzes im Süden Afghanistans. Man müsse berücksichtigen, so Jung als Begründung, dass gerade in Deutschland aufgrund der "hohen Sensibilität mit unserer Geschichte" eine große Skepsis gegenüber Bundeswehreinsätzen vorherrsche. - Und in der Tat lehnt die Mehrheit der deutschen Bevölkerung die Beteiligung am NATO-Krieg ab. Zuletzt sprachen sich 55% gegen den gesamten Einsatz und sogar 86% gegen eine Ausweitung in den umkämpften Süden aus.
Die meisten Experten sprechen bereits von einer echten Krise der NATO in Afghanistan. Selbst US-Senator Lindsay Graham äußerte sich auf der Sicherheitskonferenz dahingehend: "Ich bin nicht sicher, ob wir in Afghanistan siegen, aber wenn wir verlieren, wären die Konsequenzen gigantisch." Hierin jedenfalls ist man sich auf beiden Seiten des Atlantiks einig
: ein Scheitern am Hindukusch kommt nicht in Frage, koste es was es wolle. "In der NATO sollten nicht einige Verbündete den Luxus haben, sich nur für stabilisierende und zivile Operationen zu entscheiden und damit andere Verbündete zu zwingen, eine unangemessen große Last beim Kämpfen und Sterben zu tragen
", legte US-Kriegsminister Robert Gates noch nach. (siehe auch: www.imi-online.de/2008.php3?id=1707)
Prozess gegen die SIKO-Versammlungsleitung 2007
Am 12. Februar, also fast direkt nach den Gegenaktionen 2008, fand, vor dem Amtsgericht München, der Prozess gegen die Versammlungsleiterin der Internationalen Demonstration gegen die Kriegstagung 2007, statt.
"Der Versammlungsleitung wurde von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, einen Verstoß gegen die Auflage, Seitentransparente zu tragen und Lautsprecher nur für Ansprachen und Darbietungen, die im Zusammenhang mit dem Versammlu
ngsthema stehen sowie für Ordnungsdurchsagen zu nutzen, nicht verhindert zu haben. Hierdurch soll sie selbst gegen eine Auflage des Bescheides verstoßen haben." (aus der Anklageschrift)
Bereits im Vorfeld war klar, dass dies ein "politischer" Prozess werden wird. Es geht den Justizbehörden darum, Grundrechte wie Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit weiter massiv abzubauen; es geht darum, VersammlungsleiterInnen zukünftig als verlängerten Arm der Polizei zu m
issbrauchen. - Hier soll ein Präzedenzfall geschaffen werden!
Es war demnach nicht überraschend, dass die Angeklagte zu 40 Tagessätzen a 40 Euro verurteilt wurde. Die Begründung des Urteilsspruchs kann nur als skandalös bezeichnet werden. Die Angeklagte habe durch ihre Körpersprache in der Verhandlung, ähnlich wie auf der Demonstration 2007, eine "unangenehme und hetzerische" Stimmung ausgestrahlt, so der Amtsrichter.
Es wurde bereits Widerspruch gegen dieses Urteil eingelegt. Wir werden diesen staatlichen Angriff gemeinsam abwehren, sowohl auf juristischer wie auf politischer Ebene, denn:
Auf der Anklagebank saß nur Eine, doch gemeint sind wir ALLE!