stattweb.de-News und -Mitteilungen, 05.April 2009
Kehl/Strasbourg/Baden-Baden: Aus der Erkenntnis der Niederlage die Voraussetzung künftiger Erfolge machen
1.Das Gerede um rufschädigende Gewalt hilft nicht weiter. Seit 1967 wird “die Gewalt” beklagt, mit der die Demonstranten sich selber schaden.
1.1 Das dümmste an dem Gerede ist die Irreführung durch den Sammelbegriff. Wenn ein geworfener Farbbeutel und eine abgeschossene Rakete über den Begriff “Gewalt” als identisch gesetzt werden, entfällt jeder Bezug auf vorstellbare Folgen für menschliche Körper.
1.2 Insbesondere fehlerhaft wird die Rede von Gewalt und dem staatlichen Gewaltmonopol, wenn sie unterschlägt, dass zum staatlichen Gewaltmonopol immer das Monopol gehört, willkürlich zu definieren, was Gewalt sein soll. So unternahmen Mitglieder der Clownsarmee am Freitagmittag den Versuch, in die Innenstadt zu gelangen, dem einzig sinnvollen Ort der vorgesehenen Demonstration. Nach allen Berichten wurde der Vorstoß per Wasserwerfer, Schockgranten, Tränengas und natürlich mitüberlieferter Knüppelgewalt zurückgeschlagen. Nach regierungsamtlicher Diktion war das Demonstrierenwollen “Gewalt”, die Sanktionen verdiente, die Attacke durch die Polizei als staatliches Vorgehen aber definitionsgemäß “gewaltlos”.
2. Der eigentliche Fehler lag darin, sich von dem -in diesem Fall- französischen Staat ein abgelegenes Lager aufs Auge drücken zu lassen, von dem von vornherein feststand, dass es von allen Seiten abzuschneiden war. Das erklärte Ziel, zu demonstrieren war gegen das entgegengesetzte Ziel der Staatsgewalt nur durch offenen Verstoß gegen deren Setzungen durchsetzen. Das Ziel von BRD und Frankreich: das Bild der gewaltsamen Einigung der NATO auf der Brücke nicht beeinträchtigen zu lassen. Also ging der Zwang zur offenen Regeldurchbrechung -von der Gegenseite “Gewalt” genannt- mit der Wahl des Campgeländes vorgegeben und nicht zu vermeiden.
3. Von Obama oben bis zu Rech ganz unten vereinten sich die Inhaber der gemeinsamen Staatsgewalt -jetzt NATO genannt-, im Eigenlob. Sie hatten das Bild der Einigkeit durchgesetzt, wie schamlos auch immer.
3.1 Tatsächlich ist die Technik der Unterdrückung bei allen Staaten inzwischen so fortgeschritten, dass diese stattfindet unter Beibehaltung sämtlicher Garantien, die früher Unterdrückung verhindern sollten. Die Polizei entwickelte ein gut aussehendes Szenario des Ablaufs, die Behörden verhandelten, die Gerichte entschieden in wenigen Fällen gegen Einreiseverbote und die Medien berichteten -anders als früher- auch über die Demonstrationen.
Der so erzeugte Schein der geschlossenen Ordnung setzt jeden ins Unrecht, der sich beklagen will. Faktisch wird die Beachtung ausgehöhlter und entleerter Rechte zum Instrument ihrer inhaltlichen Abschaffung.
4. Wenn das so ist, hat Beziehung eines Camps nach Abmachung, vertragsähnliche Vereinbarung mit den Behörden keinen Sinn mehr. Wenn als sicher angenommen werden darf, dass es von vorneherein auf Verhinderung einer gemeinsamen Demonstration in Strasbourg abgesehen war, dann hatten die behördlichen Vereinbarungen objektiv auf Betrug abgezielt, ob das nun jedem einzelnen Akteur in der Entscheidungskette bewusst war oder nicht. Folge: Die Behörden wussten alles, die Demonstrierenden wurden bewusst im Dunkeln gehalten und zumindest in Strasbourg zunehmend in orientierungsloses Chaos getrieben.
5. Folge: Massenaufmärsche wie in Heiligendamm und jetzt in Strasbourg werden immer in die gleiche Falle laufen. Die zentrale Konfrontation gegen eine zentrale Staatsversammlung ist gescheitert.
6. Die Anstrengungen von so vielen zu Beginn April stellen taktisch eine schwere Niederlage dar, ob nun zwanzig- oder dreißigtausend sich beteiligten. Sie können zu einem künftigen Erfolg beitragen, wenn sie zur Erkenntnis einer fugenlosen Umstellung führen. Medien, Gerichte, Behörden lassen von sich aus nur ein einziges Bild zu: dasjenige, in welchem wir nicht vorkommen. Dasjenige, das uns virtuell vernichtet.
7. Diese Erkenntnise im Hinterkopf, massenhaft der Verdrängung entzogen, führen fürs nächste Mal zu vorläufigen Folgerungen:
7.1 Statt zentraler Konfrontation gegen die zentralisierte Gewalt eines oder mehrerer Staaten müsste dezentral und ohne Ankündigung vorgegangen werden. Blitzartiges Auftauchen und Verschwinden von Transparenten an vielen Plätzen in den verschiedensten Städten.
7.2 Das Aneinandervorbeifurhwerken der proletarischen Jugendlichen in Neuhof und der Campbesiedler aus vielen Gegenden zeigt eine weitere Aufgabe: Es wird nicht nur gehen können um die Vernetzung, wie man sagt, der international Herbeigeströmten untereinander, sondern um eine langwierige und konkrete Diskussion zwischen Ortsansässigen und mehr oder weniger kampagnenorientierten Linken.
So viel mal. Außerordentlich vorläufig, wenig tröstend und ohne ausgefeilte Rezepte fürs nächste Mal.
Quelle: ntv; junge welt; Wolf Wetzel 5.4.09
AutorIn: Güde, Fritz
Quelle:
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