Attac feiert zehnten Geburtstag und häutet sich
VON ALICE AHLERS, 02.06.08, 20:41h, AKTUALISIERT 06.06.08, 07:58h
Das Aktionsfeld der Globalisierungskritiker ist breiter geworden, die Generationen lösen sich ab. Innerhalb der Bewegung macht sich mit den "Noyas" eine neue Gruppe bemerkbar. Doch auch auf Führungsebene hat sich viel getan.
„Attacies“ üben als Clowns den friedlichen Protest. BILD: AA
„Attacies“ üben als Clowns den friedlichen Protest. BILD: AA
Die Arme malen den Regenbogen. Die Hüften schwingen hin und her. „Für Sonne, für Wasser, für Wind“, rufen die Tänzer zum Rhythmus der Trommler. Kein Clubtanz auf Ibiza, sondern eine Protestübung. „Tanzt! Animiert die Leute! Macht euch locker“, feuert sich die Samba-Gruppe gegenseitig an. Bei der Aktionsakademie von Attac proben etwa 150 Globalisierungskritiker in einer Waldorfschule bei Heidelberg drei Tage lang Protest. Neben Samba-Trommeln stehen Blockade-Training, Clownerie, Straßentheater auf dem Programm.
Zehn Jahre nach der Gründung von Attac in Frankreich ist Cedric Bergmann aus Köln Teil einer neuen Generation innerhalb der Bewegung: den „Noyas“. Das Jugendnetzwerk ist im letzten Jahr aus Attac hervorgegangen. „Die Strukturen der Kölner Attac-Gruppe waren sehr festgefahren“, sagt Cedric Bergmann. Junge Leute, die vorher noch nicht politisch aktiv waren, sollen jetzt bei Noya frische Ideen einbringen. „Wir wollen uns gegenseitig stärken“, sagt Bergmann.
Auch im Großen hat bei Attac ein Generationenwechsel stattgefunden. Nach dem G-8-Gipfel in Heiligendamm im letzten Jahr zog sich die langjährige Führungsriege im Koordinierungskreis - so etwas wie der Bundesvorstand der Organisation - zurück. „In sozialen Bewegungen muss man Platz machen für Neues“, sagt Sven Giegold, ehemaliges Mitglied im Attac-Koordinierungskreis und bekannt durch zahlreiche Talkshow-Auftritte.
Überall einmischen
Schließlich sei er nicht Vorsitzender eines Taubenzüchtervereins, der fünfzig Jahre lang an seinem Stuhl kleben bleibe. Trotzdem sei er weiterhin für Attac aktiv.
Nach der großen medialen Aufmerksamkeit, die dem Netzwerk im letzten Jahr zuteil wurde, gibt es in diesem Jahr keinen symbolträchtigen Anlass, um große Massen zu mobilisieren. Das Aktionsfeld, auf dem sich Attac derzeit bewegt, ist breiter und lokaler geworden. Ursprünglich wurde das Bündnis am 3. Juni 1998 in Frankreich gegründet, um sich für die Besteuerung internationaler Finanztransaktionen, der „Tobin-Steuer“ einzusetzen. Mittlerweile mischen sich die „Attacies“ fast überall ein: Von Mindestlohn über Gesundheitswesen bis hin zu Umweltthemen. Und prominente Unterstützer aus fast allen politischen Lagern gibt es auch: Etwa den ehemaligen CDU-Generalsekretär Heiner Geißler oder den Linken-Politiker Oskar Lafontaine.
Allein in der Woche des G-8-Gipfels von Heiligendamm wuchs die Mitgliederzahl um 1300 an, mittlerweile liegt sie in Deutschland bei 20 000, weltweit sind es 90 000. „Die Globalisierungskritik ist im Mainstream angekommen“, sagt Chris Methmann, einer der neuen Köpfe in der Führungsriege. Einerseits verbucht er das als Erfolg, andererseits sei Protest dadurch schwieriger geworden. „Attac ist in einem Wandlungsprozess“, sagt der 27-Jährige. Man müsse seine Arbeitsweisen verändern. „Bisher ging es darum, ein globalisierungskritisches Bewusstsein erst mal unter die Leute zu bringen“. Jetzt müsse die Organisation mit konkreten Vorschlägen offensiv an die Öffentlichkeit gehen. „In unserer Gesellschaft läuft eine Bewegung wie Attac schnell Gefahr, als von gestern betrachtet zu werden“, sagt der Kölner Soziologe Christoph Butterwegge. Sieht aber gerade in der derzeitigen Debatte um Armut, Mindestlohn und Finanzmarktkrise für Attac die Chance, verstärkt Kritik zu üben.
Die Ablösung der alten Generation hat laut Methmann nichts mit einem Streit zwischen den unterschiedlichen Lagern beim G-8-Gipfel zu tun - wie in manchen Medien berichtet wurde. Der Rückzug sei schon Monate zuvor angekündigt worden. Natürlich habe es im Camp Spannungen gegeben, sagt Werner Rätz, der sich selbst zum linksradikalen Spektrum der Bewegung zählt. Diskussionen gab es vor allem darüber, wie weit die Auseinandersetzungen mit der Polizei gehen dürfen. „Einzelne Aktivisten haben ihren kleinen Privatkrieg angezettelt“, sagt Methmann. Im Vorfeld hatte man sich aber auf eine friedliche Demonstration geeignet.
„Es gibt aber keinen Richtungsstreit“, sagt Werner Rätz. Für Cedric Bergmann aus Köln ist der Zusammenhalt in einem breiten Bündnis ein Hauptgrund dafür, dass er nicht der Jugendorganisation einer politischen Partei beitreten wollte. Schon als Schüler hat sich der Psychologiestudent in der Landes-Schülervertretung NRW engagiert. Machtkämpfe in den Parteien, Seilschaften und Lobbyismus, all das Drumherum, um seine Sache durchzubringen - das schreckt den 20-Jährigen ab. Er sieht Attac auch als Möglichkeit, sich erst mal politisch zu finden. Wenn er bei Attac Ideen einbringe, werde zwar auch viel diskutiert, aber am Ende heiße es: „Mach mal!“ Und machen ist Cedric Bergmann wichtiger als Macht.
Eine Gruppe Clowns stürmt lautstark den Schulhof. Sie hüpfen und springen, machen große Augen, fuchteln mit bunten Staubwedeln herum, heben die roten Nasen schnüffelnd in die Luft, dann keuchen und husten sie von einer imaginären grauen Schadstoff-Wolke eingenebelt. Kreativ soll Attac-Protest sein, überraschen und zeigen, dass man für gewaltlose Demonstrationen steht, sagt Cedric Bergmann. Schon beim G-8-Gipfel hätte die Clownarmee deeskalierend gewirkt. Denn eins ist ihm besonders wichtig: Attac will friedliche, gewaltlose Demonstrationen. |